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Meinung

26 Feb 2019

Autor:
Carolijn Terwindt, European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) & Gisela Burckhardt, FEMNET e.V.

Sozialaudits in der Textilbranche: Wie kann man Kontrolleure kontrollieren?

Der Einsturz des Rana Plaza-Gebäudekomplexes in Dhaka, Bangladesch am 24. April 2013 ist eine der bekanntesten - menschenverschuldeten - Katastrophen in der Textilbranche. Was nicht so viele wissen: Zwei Produktionsstätten in dem Gebäude hatten das Auditierungsverfahren der Business Social Compliance Initiative (BSCI, jetzt Amfori) durchlaufen, bevor es zu dem Einsturz kam, und im Rahmen dieser Prüfung waren keine potenziellen Risiken für die Arbeitssicherheit identifiziert worden. Die BSCI ist die weltweit größte Compliance-Initiative für Arbeitsstandards. In ähnlicher Weise stellte das italienische Prüfungsunternehmen RINA der Textilfabrik Ali Enterprises in Pakistan ein paar Wochen vor dem Brand im September 2012 das Zertifikat SA 8000 aus – ein Zertifikat, das u.a. hohe Brandsicherheitsstandards garantieren soll und das die Non-Profit-Organisation Social Accountability International (SAI) entwickelt hat. Trotz dieser Schlüsselrolle bei der Legitimierung von Lieferketten ist die Verantwortung von Sozialauditoren und Compliance-Initiativen bislang zu wenig in der (breiten) Öffentlichkeit diskutiert worden.

Seit den 1990er Jahren hat die Auslagerung von Produktion in der Textilbranche weltweit rasant zugenommen. Diese Tatsache hat – neben einer erhöhten Aufmerksamkeit für die Arbeits- und Menschenrechte – internationale Konzerne dazu veranlasst, Sozialaudits in Auftrag zu geben bzw. gegenüber Fabrikeigentümern Zertifikate als Voraussetzung für eine Geschäftsbeziehung einzufordern. Da aber für effektive Fabrikinspektionen durch staatliche Behörden, diesen aber häufig die Ressourcen für strengere Kontrollen fehlen, und auch die lokalen Gewerkschaften infolge von Restriktionen und Repressionen keine starke Position haben, übernehmen häufig private Prüfungsdienstleister das Monitoring von Arbeitsbedingungen, Gesundheitsschutz und Sicherheit. 

Katastrophen wie der Brand bei Ali Enterprises und der Einsturz des Rana Plaza-Gebäudekomplexes haben jedoch auf tragische Weise eine ganze Reihe von Schwachstellen in der aktuellen Praxis privater Zertifizierung sichtbar gemacht: Unabhängige und sorgfältige Prüfungen scheinen selten, bestenfalls wird eine Art „Checklisten-Compliance“ durchgeführt. Während einerseits Vereinbarungen zu Preis, Menge, Lieferzeit und Produktqualität vertraglich durchgesetzt werden, werden andererseits Verhaltenskodizes und die dazugehörigen Audits als außervertragliche Instrumente betrachtet.

„Es gibt keinen größeren Machtfaktor als einen Lieferauftrag. Das Machtverhältnis beginnt und endet mit der Unterschrift des Einkäufers. Alles, was sonst noch im Raum steht, ist nur Gerede. ... Wenn der Einkäufer bei der Bestellung nicht darauf besteht, dass Sie sich darum [um die Umwelt und die Arbeiter*innen] kümmern, kümmern Sie sich nicht darum“[1].

Ein anderes typisches Defizit von Sozialaudits besteht darin, dass problematische Entscheidungen zum Umfang der jeweiligen Prüfung allzu häufig hinter angeblich technisch bedingten Faktoren verborgen werden. Beispielsweise behauptete das Prüfungsunternehmen TÜV Rheinland, dass es nicht damit beauftragt worden sei, die Sicherheit der Gebäudestruktur von Rana Plaza zu überprüfen. Außerdem werden Subunternehmer-Fabriken im Allgemeinen von den Prüfungsverfahren ausgenommen. Zertifizierer, die von denselben Unternehmen finanziert werden, die sie prüfen müssen, sind an widersprüchliche Anreizstrukturen gebunden. Zertifikate schaffen viel Vertrauen in die Lieferketten und damit letztendlich auch bei den Konsument*innen, während die Zertifikatsausstellung fast kein Rechtsrisiko mit sich bringt. Wer die Verantwortung für den Inhalt oder die Auswirkung von Auditierungsberichten trägt, ist nicht definiert. Da diese Berichte im Allgemeinen nicht veröffentlicht werden, haben betroffene oder unabhängige Parteien keine Möglichkeit, das Auditierungsverfahren zu überprüfen oder dessen Sorgfalt und Genauigkeit zu bewerten. Den Arbeiter*innen, die eigentlich die Nutznießer des ganzen Prüfungsunterfangens sein sollten, stehen keine Mittel zur Verfügung, um Berichte zu verifizieren oder Prüfer*innen zur Verantwortung zu ziehen.

Kurz gesagt – der Verantwortung der Prüfungsdienstleister wird nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Beispielsweise hat keiner der Dienstleister, die Sozialaudits in den Fabriken durchgeführt haben, Gelder in den Rana Plaza-Treuhandfonds eingezahlt. Und während KiK nach einer Einigung mit der ILO eine Entschädigung an die pakistanischen Familien zahlte, lehnte es der Prüfungsdienstleister RINA ab, dies ebenfalls zu tun. Die Prüfungsunternehmen verstecken sich hinter der Aussage, sie erbrächten schließlich nur eine Dienstleistung für ihre Kunden. 

Frustriert von den mangelnden Abhilfemöglichkeiten, die ihnen der BSCI-Beschwerdemechanismus bot, reichten das Garment Workers Unity Forum, das Comrade Rubel Memorial Center und die Rana Plaza Survivor Group aus Bangladesch sowie ECCHR, FEMNET und medico international aus Deutschland im Mai 2016 eine OECD-Beschwerde gegen TÜV Rheinland ein. Der Vorwurf: der Prüfungsdienstleister habe in seinem Prüfungsbericht für eine Fabrik im Rana Plaza-Gebäudekomplex Kinderarbeit, mangelnde Versammlungsfreiheit, Gebäudesicherheitsrisiken und Disziplinarmaßnahmen gegen die Arbeiter*innen nicht erkannt.

Trotz Verbesserungen im Verfahren ber der NKS (NKS = Nationale Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze) war es für die Betroffenen aus Bangladesch kaum möglich, an den Verhandlungen mit TÜV Rheinland teilzunehmen. Während des über zwei Jahre anhängigen Vermittlungsverfahrens war es den Beschwerdeführenden nicht gestattet, „Kampagnenarbeit“ zu machen. Beschwerdeführernde werden so benachteiligt, da sie keinen Druck über die Öffentlichkeit ausüben können, während Unternehmen die Verhandlungen lange genug hinauszögern können, bis alle Ressourcen komplett ausgeschöpft sind.[2] Die Erfahrungen aus OECD-Verfahren in anderen Ländern haben gezeigt, dass das Medieninteresse von entscheidender Bedeutung ist, um Abhilfe schaffen zu können. Hinzu kommt, dass die deutsche NKS ihre Erstbeurteilung nicht veröffentlicht hat.  

Auch wenn TÜV Rheinland die Verhandlungen abbrach, während der Entwurf einer finalen Übereinkunft bereits formuliert wurde, könnte die finale Stellungnahme der deutschen NKS den Weg für eine fundamentale Reform von Sozialaudits bereiten. Die NKS empfiehlt einen Dialog mit den Prüfungsdienstleistern, den Organisationen, die die Standards festlegen, den Markenunternehmen, den Fabriken und den Gewerkschaften, um Probleme wie z.B. die mangelnde Transparenz von Prüfungsberichten und die Frage, ob Fabrikeigentümer ihre eigenen Audits finanzieren sollten, anzugehen. Außerdem vertrat die NKS einen klaren Standpunkt zu Maßnahmen, die Prüfungsdienstleister bereits jetzt umsetzen könnten, wie z.B. eine stärkere Einbeziehung von Arbeitnehmervertreter*innen. 

Während die eindringlichen Empfehlungen der NKS von den Beschwerdeführenden begrüßt wurden, äußerten Arbeitnehmerorganisationen aus der Textilbranche in Bangladesch und Pakistan in persönlichen Gesprächen mit den Autorinnen Bedenken bezüglich der inhärenten Beschränkungen privatwirtschaftlicher Auditierung. Unangemessen vorteilhafte Zertifikate stellen ein großes Problem dar. Übergeht ein Prüfbericht Probleme bei der Einhaltung von Sozial- und Sicherheitsstandards, kann es gut sein, dass Konzerne die betreffenden Zulieferer weiterhin beauftragen, ohne sie zur Behebung von Missständen und zur Umsetzung dringend erforderlicher Maßnahmen für den Schutz von Arbeiter*innen zu verpflichten. Ohne eindeutige und leicht zugängliche Mechanismen für Transparenz und Rechenschaftspflicht (accountability) besteht das Risiko, dass Audits den Arbeiter*innen schaden, anstatt ihnen zu helfen.

Trotz aller Kritikpunkte scheinen Sozialaudits weiterhin fester Bestandteil der gegenwärtigen Unternehmenspraxis zu sein. Da Unternehmen zunehmend auf Audits zurückgreifen, um ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachzukommen, sollten Transparenz und Rechenschaftspflicht als Mindestbedingungen für Audits gelten. Von wesentlicher Bedeutung für jedes System, das den Anspruch qualitativ hochwertiger Audits erhebt, ist ein Mechanismus zur Identifizierung und Sanktionierung mangelhafter Prüfungen. In diesen Prozess sollten unabhängige Arbeitnehmerorganisationen und die Arbeiter*innen selbst mit einbezogen werden. Ohne Zugang zu Auditberichten können Gewerkschaften, Arbeitnehmer*innen und lokale Gemeinschaften nicht auf unabhängige Weise verifizieren, ob Prüfer*innen Fälle, in denen relevante Standards nicht eingehalten werden, auch wirklich identifiziert haben.

Prüfungsdienstleister oder Compliance-Initiativen können einer größeren Rechenschaftspflicht bei Audits den Weg bereiten, indem sie für Fabrikarbeiter*innen Begünstigungsrechte Dritter (third-party beneficiary rights) definieren. Auf diese Weise wird Fabrikarbeiter*innen, die von Sozialaudits profitieren sollen, ein einfaches und unmittelbar wirksames Rechtsmittel zur Verfügung gestellt. Dies kann auf einfache Weise erreicht werden, etwa über eine Klausel im Vertrag des Prüfungsdienstleisters, die Arbeiter*innen das Recht auf Schadenersatz einräumt, wenn die betreffende Prüfung relevante Sicherheitsrisiken nicht identifiziert haben sollte. Eine ausgebliebene oder mangelhafte Prüfung (d.h. mangelnde Kompetenz der Prüfer*innen oder das Fehlen einer vollständigen oder verifizierbaren Dokumentation) stellt dann eine gerichtlich einklagbare Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen des Prüfungsdienstleisters dar. Zusätzlich kann eine Umkehrung der Beweislast vereinbart werden. Sollte ein*e Prüfer*in erhebliche Missstände nicht identifizieren, müsste diese*r Prüfer*in beweisen, dass relevante professionelle Standards eingehalten wurden, um einer Haftung zu entgehen.

Die Forderung nach Rechenschaftspflicht sollte nicht nur von Arbeiter*innen erhoben werden. Konzerne können ebenfalls Haftungsansprüche gegenüber den von ihnen beauftragten Prüfungsdienstleistern geltend machen. Auch wenn dafür momentan wenig Anreiz besteht, könnte sich dies ändern, sobald sich Konzerne rechtlichen Forderungen aus Schäden gegenübergestellt sehen, die aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen in ihren Lieferketten auftreten. Ein bemerkenswertes Beispiel in diesem Zusammenhang ist der Schritt, den das deutsche Einzelhandelsunternehmen KiK kürzlich eingeleitet hat, um Prüfungsdienstleister für die Ergebnisse ihrer Berichte juristisch haftbar zu machen. Eine solche Auditorenhaftung kann zu notwendigen Veränderungen in den Machtbeziehungen zwischen Konzernen, Zulieferern, Arbeitnehmer*innen, Gewerkschaften, lokalen Gemeinschaften und Prüfer*innen beitragen. Die Bemühungen zur Durchsetzung von Rechenschaftspflicht sollten Fragen zum irreführenden Gültigkeitsbereich und Umfang von Audits aufwerfen, die Aufmerksamkeit auf unangemessen vorteilhafte Prüfungsberichte lenken und Mängel bezüglich der Umsetzung von Prüfungsempfehlungen ansprechen – sonst bleibt es bei Mechanismen, die einen Status quo aufrechterhalten, in dem Audits zwar durchgeführt, aber keine sozialen und ökologischen Verbesserung erzielen.



[1] LeBaron, Lister and Dauvergne zitieren einen ihrer Interviewpartner in „The new gatekeeper: Ethical audits as a mechanism of global value chain governance“ (2017, S. 108); inoffizielle Übersetzung des Resource Centres, im Original: ‘There is no greater power than a purchase order. The power relation begins and ends with the buyer’s signature. All the rest that floats around it is talk. ... Until your buyer says you care [about the environment and workers] in the purchase order, you don’t care’.

[2] OECD Watch weist auf Folgendes hin (inoffizielle Übersetzung des Resource Centres): „Die wissenschaftliche Forschung hat ergeben, dass eines der Hemmnisse für effektivere NKS in den ungleichen Machtverhältnissen in Vermittlungsverfahren besteht. NKS sollten sich der Tatsache bewusst sein, dass zu strenge Beschränkungen von Kampagnenarbeit im Rahmen eines Beschwerdefalls zu einer Verschärfung des Machtungleichgewichts führen können, was die Effektivität von NKS mindert, die Parteien darin zu unterstützen, die vorliegenden Probleme zu lösen. Dass die Beschwerdeführer sich verpflichten müssen, von öffentlichen Stellungnahmen zum Unternehmen und zum laufenden Verfahren abzusehen ([selbst] wenn derartige Stellungnahmen auf eine Weise erfolgen, die die Vertraulichkeit der während des Verfahrens ausgetauschten Informationen wahrt), schwächt die Akteursgruppe unmittelbar.“ (Versammlung des Netzwerks der nationalen Kontaktstellen für verantwortungsbewusstes unternehmerisches Handeln (Network of National Contact Points for Responsible Business Conduct), 18. Dezember 2017, S.16).