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Meinung

29 Mai 2020

Autor:
Claudia Müller-Hoff, Senior Legal Advisor, Business & Human Rights Programme, European Center for Constitutional and Human Rights

Der Dammbruch von Brumadinho - Wenn Normabweichungen zum Normalzustand werden

Der Blog ist auch auf Englisch und Portugiesisch verfügbar.

Viele Experten*innen haben die Ursachen des Bruchs des Bergbaudamms in Brumadinho im Januar 2019 diskutiert, bei dem 272 Menschen starben. Schon Monate vor dem Dammbruch klar: Es war zu viel Wasser in dem Abraum-Becken. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis der letzte Tropfen – oder Auslöser, vielleicht ein schwerer Lastwagen, der vorbeifuhr, oder Kühe, die auf den Damm traten – eine Bodenverflüssigung und somit den Bruch verursachte. Die Betroffenen sagen darum: Dies war kein Unfall, sondern ein Verbrechen. Und sie verlangen Rechenschaft.

Die CIAEA, eine vom Vorstand des brasilianischen Minenbetreibers Vale eingesetzte Expert*innenkommission, veröffentlichte im Februar 2020 eine Zusammenfassung ihrer Ergebnisse – und kam zu dem Schluss: „Die fragile Situation des Staudamms und die Notwendigkeit, Maßnahmen zur Risikominderung zu ergreifen, waren bekannt.“ (Übersetzung der Autorin) Die Frage ist: wem bekannt? Und warum brach der Damm dennoch?

Eine Geschichte der Instabilität

Der Bericht schildert die Geschichte der Instabilität des Staudamms: Schon 2003 stellte man erstmals Entwässerungsprobleme fest. 2010 empfahl man eine Untersuchung zur Bodenverflüssigung, die aber erst 2014 durchgeführt wurde, basierend auf alten Daten aus dem Jahr 2005. Diese berücksichtigten nicht, dass der Damm mittlerweile zweimal erhöht worden war. Eine andere Studie von 2016 löste unter Fachleuten einen Streit über Messungsmethoden aus: eine hätte ein unmittelbares Dammbruchrisiko aufgezeigt, die andere die Stabilität des Dammes belegt. Der Damm wurde als stabil zertifiziert.

Dennoch stellte eine brasilianische Tochter des deutschen TÜV SÜD 2017 fest: Der errechnete Sicherheitsfaktor, der die Korrelation zwischen den Widerstandskräften des Dammes und den Druckkräften gegen den Damm anzeigt, lag unterhalb der international anerkannten Mindeststandards. Laut einer Folgestudie des TÜV SÜD bestand das Problem 2018 weiterhin. Trotzdem bescheinigte der TÜV SÜD im Juni und September 2018 die Stabilität des Staudamms – bevor er vier Monate später schließlich brach.

Vale: Normabweichungen als Normalzustand

Die Expert*innenkommission kommt zu dem Schluss, dass das Risiko des Dammbruchs bei Vale zwar bekannt war, nicht aber den obersten Führungskräften. Würde dies bestätigt, bedeutet es nicht, dass sie sich der Verantwortung entziehen können. Denn ihre Unkenntnis war das Ergebnis von Entscheidungen auf der Führungsebene:

Der CIAEA-Bericht stellte bei Vale „eine starke hierarchische Kultur fest, die resistent ist, Probleme auf höheren Ebenen der Organisation aufzudecken.“ [Ü.d.A.] Bei Vale herrsche ein Umfeld mit „einer Tendenz, Probleme oder Risiken oder Schwachstellen anderen Bereichen [wie der Compliance- oder der Rechtsabteilung] gegenüber nicht offenzulegen“ – kurz gesagt: das Fehlen einer konstruktiven Fehlerkultur.

Der Bericht erkannte außerdem eine „Normalisierung von Normabweichungen“ [Ü.d.A.]: Die zuständigen Mitarbeiter*innen gewöhnten sich an die immer wiederkehrenden nicht-normgerechten Daten und ignorierten schließlich das reale Risiko, das diese anzeigten. Denn “die Einhaltung von Vorschriften und die Erreichung [der Stabilitätserklärungen] hatten Vorrang, unabhängig von der tatsächlichen Sicherheitssituation des Staudamms“ [Ü.d.A.], so der Bericht. Und das obwohl „die Erfahrung anderer gefährlicher Industrien (...) lehrt, dass die bloße Einhaltung von Vorschriften selten ausreicht, um die Sicherheit (…) zu gewährleisten“. [Ü.d.A.]  Wichtig war also nur das Formblatt, nicht die tatsächliche Stabilität des Staudamms.

Normabweichungen als Normalzustand – auch beim TÜV SÜD?

TÜV SÜD hatte 2018 Stabilitätserklärungen für den Staudamm unterzeichnet. Dafür senkte man den Normwert des Sicherheitsfaktors ab – auf unzureichender wissenschaftlicher Grundlage, so die CIAEA. So war die reale Abweichung vom Mindeststandard nicht erkennbar – auf dem Papier erschien der Damm sicher.

Doch warum sollte ein professioneller Zertifizierer das tun? Vielleicht, weil es in der Branche nicht nur um die Sicherheit, sondern auch um das Geschäft geht: Die CIAEA stellte in der Vertragspolitik von Vale gegenüber TÜV SÜD einen Interessenkonflikt fest, ein in der Zertifizierungsbranche bekanntes Problem. Dies wirft auch ein negatives Licht auf TÜV SÜD und sein Interessenkonflikte-Management: Das Unternehmen verhandelte parallel zur Prüfung des Brumadinho-Damms einen – erheblich lukrativeren – Beratervertrag mit Vale. Eine solche Praxis könne laut CIAEA „Unternehmen dazu veranlassen, ihr Urteilsvermögen bei Audits mit dem Ziel zu kompromittieren, eine gute Beziehung zu Vale aufrechtzuerhalten und Beratungsverträge abzuschließen.“  [Ü.d.A.]

Genau dieses kompromittierte Urteilsvermögen zeigt sich in der wiederholten Ausstellung von Stabilitätserklärungen für einen instabilen Damm. Zeichnet sich also auch bei TÜV SÜD die Normabweichung als Normalzustand auf Kosten der Sicherheit ab?

Schlussfolgerung

Im November 2019 hatte Axel Stepken, Vorstandsvorsitzender der TÜV SÜD AG, in einem Interview erklärt, dass die konzerninterne Revision zum Dammbruch den deutschen Zertifizierer von der Verantwortung für den Dammbruch freispreche. Nur ein Komitee für Reputationsrisiken werde empfohlen. Dass TÜV SÜD sich also mit seinem menschenrechtlichen Risikomanagement kritisch auseinandersetzt, ist nicht zu erwarten. Der CIAEA-Bericht dagegen spricht eine ganz andere Sprache. Danach liegen die Ursachen des Dammbruchs in strukturellen Problemen sowohl bei Vale als auch bei TÜV SÜD begründet.

„Ein wichtiger Faktor für die Nicht-Wiederholung ist die Rechenschaftspflicht“, so der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und gefährliche Stoffe, Baskut Tuncak, nach seinem Besuch in Brumadinho im Dezember 2019. Die Aufarbeitung des Dammbruchs darf nicht alleine den Konzernen überlassen bleiben. Verbindliche menschenrechtliche Sorgfaltspflichten wären ein starker Anreiz für Unternehmen, sich ernsthaft für ein Risikomanagement im Bereich der Menschenrechte einzusetzen. Denn Menschenrechtsverletzungen wie der Dammbruch in Brumadinho sind nicht wieder gutzumachen.