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Artikel

15 Jun 2024

Autor:
taz

Arbeitsmigranten werfen Unternehmer Lohndiebstahl vor

Alle Tags anzeigen Anschuldigungen

"Ausbeutung von Arbeitsmigranten: Hoch qualifiziert, arm dran"

Drei Programmierer aus Syrien, Russland und Marokko rennen erfolglos ihrem Gehalt hinterher. Vorenthalten hat es ihnen ein Jungunternehmer aus Bremen.

An einem Freitag Ende März sitzen drei junge Männer in Bremen in einem Besprechungsraum mit Blick auf die Weser. Mikhail Zotyev aus Russland, mit 32 der Älteste der drei, ­Dihya ­Anzar aus Marokko und Ahad Joumaa aus Syrien, beide 25 Jahre alt. Im Winter vor einem Jahr kamen sie nach Deutschland, im Gepäck Arbeitsverträge als Programmierer bei der ­Bakersoft GmbH. Für das im März 2021 gegründete ­Bremer Unternehmen haben sie Essens­automaten entwickelt, die sich per App steuern lassen.

Sie verdienten zunächst gut, bekamen zwischen 4.500 und 6.000 Euro brutto. Allerdings nur bis April 2023. Danach arbeiteten sie monatelang unbezahlt in ihren Vollzeitjobs. Das Unternehmen war pleite und zahlte keine Gehälter mehr, auch keine Sozialversicherungsbeiträge. Ihr Geld haben sie bis heute nicht gesehen. Zwar hat das Arbeitsgericht Bremen festgestellt, dass ihr Gehalt nachträglich gezahlt werden muss, Gerichtsvollzieher sind mit der Zwangsvollstreckung beauftragt.

Doch ihr ehemaliger Chef, der erst 26-jährige Oliver S., ignoriert Zahlungsaufforderungen. Weil sie keine Hoffnung mehr haben, auf juristischem Weg Gerechtigkeit zu erfahren, suchen sie die Öffentlichkeit. Ihre Darstellung lässt sich anhand von Dokumenten, Aussagen von Kol­le­g:in­nen sowie der Stellungnahme ihres Ex-Chefs verifizieren.

Ruhig und eloquent erzählen die drei auf Englisch ihre Geschichte. Sie ist ein Beispiel dafür, wie auch gut bezahlte Hochqualifizierte von deutschen Unternehmen ausgebeutet werden. Die taz trifft die drei in den Räumen von „Faire Integration“ in Bremen, einer von 27 über Deutschland verteilten ­Beratungsstellen, die von der Europäischen Union und dem Bundesarbeitsministerium finanziert werden. [...]

Ausbeutung gebe es in allen Branchen, sagt Petra Simonowsky, Leiterin der Beratungsstelle. „Zu uns kommen aber vor allem Menschen, die in Niedriglohnjobs ausgebeutet werden.“

Abhängig vom Arbeitgeber

Auf den ersten Blick unterschieden sich die drei Männer sehr von ihren anderen Kli­en­t:in­nen, sagt Petra Simonowsky. Die kaum Deutsch oder Englisch sprechen, kein finanzielles Polster haben, nicht selten mittellos auf der Straße landeten. Gemeinsam sei allen: „Sie sind abhängig vom Arbeitgeber, der sich auf ihre Kosten bereichert.“

Abhängig sind sie, weil ihre Aufenthaltserlaubnis in der Regel an einen konkreten Arbeitsvertrag geknüpft ist. [...]

Vielleicht hätten dies auch die Bakersoft-Beschäftigten getan, wenn sie ihre Rechte besser gekannt hätten, es in dem Unternehmen einen Betriebsrat gegeben hätte, der sich für sie hätte stark machen können. Doch sie hatten bei einem Start-up angeheuert. Bei diesen jungen, schnell wachsenden Unternehmen gibt es laut eines Sprechers des Bundesverbands Deutsche Startups, selten eine institutionalisierte Arbeitnehmer:innen-Vertretung mit besonderen Rechten nach dem Betriebsverfassungsgesetz. [...]

Eine ­33-jährige Software-Ingenieurin aus dem Iran schreibt der taz, sie sei schon in den ersten beiden Monaten des Jahres 2023 nicht mehr für ihre Arbeit bezahlt worden, woraufhin sie kündigte. [...]

Er sei „persönlich sehr enttäuscht“ von seinen ehemaligen Angestellten, schreibt Oliver S. in einer Stellungnahme an die taz. „Wir haben sehr vielen Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben, nach Deutschland zu kommen, um ein (vermeidlich) besseres Leben zu haben.“ (Rechtschreibfehler im Original) Ausgerechnet diejenigen, denen die Firma am meisten geholfen habe, hätten ihn verklagt.

Zudem hätten seine ehemaligen Angestellten in vollem Bewusstsein um das finanzielle Risiko bei einem Start-up angefangen. Sie hätten Pech gehabt als bei Bakersoft „der schlimmste Worst Case eingetroffen ist: Insolvenz des Kapitalgebers und des größten Kunden“. [...]

Die Unternehmen dürfen ihr Risiko nicht auf Mit­ar­bei­te­r:in­nen abwälzen. So hätte Oliver S. einen Insolvenz­antrag stellen müssen – spätestens drei Wochen nach Beginn der Zahlungsunfähigkeit, also vor einem Jahr. Eine Insolvenzverschleppung ist eine Straftat, die mit Geldstrafe oder bis zu drei Jahren Haft bestraft werden kann. [...]

Oliver S. nennt der taz den Grund, warum er nie vor hatte, einen Insolvenzantrag zu stellen: „Aufgeben war und ist für mich niemals eine Option.“ Deshalb habe er im September eine neue Firma gegründet. Es ist die fünfte, seitdem er 18 ist. Sobald sein jüngstes Unternehmen genug Gewinn abwerfe, begleiche er alle Schulden, verspricht er. [...]

Fünf Personen aus der alten Firma arbeiten nach Angaben von Oliver S. immer noch für ihn – jetzt eben für die neu gegründete. Sie heißt Mealtime GmbH. [...]