Kenia: Widerstand gegen die Verwendung mutmaßlich gesundheitsschädlicher, deutscher Pestizide wächst
"Pestizide in Kenia »Der Westen muss aufhören, Afrika zu vergiften«"
In vielen Ländern Afrikas werden großflächig Pestizide eingesetzt, die in Europa verboten sind. Firmen wie Bayer vertreiben sie weiter im Globalen Süden, trotz mutmaßlicher Gesundheitsgefahren. Doch der Widerstand wächst.
[...] Hergestellt wird das Mittel von der Bayer AG im beschaulichen Dormagen zwischen Köln und Düsseldorf. In Deutschland allerdings ist es nicht mehr zugelassen, denn der enthaltene Inhaltsstoff Beta-Cyfluthrin wurde von der Europäischen Union vom Markt genommen, wegen potenzieller Gesundheitsschäden für Anwender und Anwohnerinnen sowie fehlender Datenlage hinsichtlich möglicher Gefahren für Konsumenten. Hier in Kenia allerdings wird das Insektizid made in Germany weiterhin verkauft und versprüht, so wie auf Judy Njengas Farm.
Denn bislang ist der Export solcher in der EU vom Markt genommenen Mittel nicht verboten, vor allem im Globalen Süden können sich Firmen wie Bayer oder BASF noch immer über kräftige Absätze freuen. »Das ist eine zynische Doppelmoral: Für Europäer erkennt man eine Gesundheitsgefahr, in Afrika allerdings sieht man kein Problem«, meint Timothy Njagi, Agrarexperte am kenianischen Tegemeo-Institut, das an der Egerton Universtität angesiedelt ist.
Die Route to Food Initiative der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung in Kenia hat gerade eine Studie zum dortigen Pestizideinsatz veröffentlicht, dafür wurden Anwendungsdaten aus dem Jahr 2020 ausgewertet. Das Ergebnis: Mehr als 70 Prozent der in Kenia verwendeten Pestizide gelten als »highly hazardous«, also hochgefährlich. Und 44 Prozent der versprühten Mittel wären in der Europäischen Union aufgrund ihres Risikos für Mensch und Umwelt verboten. »Viele dieser Wirkstoffe sind nervengiftig, schädlich für die Fortpflanzung oder können das Erbgut schädigen. Darüber hinaus können sie auch die Artenvielfalt und die Wasserqualität in Kenia langfristig negativ beeinflussen«, sagt Pestizid-Expertin Silke Bollmohr vom INKOTA-Netzwerk, einem gemeinnützigen Verein, der nach eigenen Angaben auf globale Missstände aufmerksam machen will. Bollmohr ist Hauptautorin der Studie.
Auch zahlreiche Produkte deutscher Konzerne haben Bollmohr und ihre Kollegen in Kenia in den ausgewerteten Anwenderdaten gefunden, darunter das unter Landwirten beliebte Bayer-Produkt Thunder. Laut der Studie gehörte es im Jahr 2020 zu den fünf am breitflächigsten verwendeten Insektiziden in Kenia. Der Bayer-Konzern bestätigt auf SPIEGEL-Anfrage, dass Thunder in der EU nicht mehr zugelassen ist.
Die Inhaltsstoffe seien aber »sicher für Mensch und Umwelt, wenn sie gemäß der Anwendungshinweise verwendet werden. Allein die Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen ist, sagt nichts über seine Sicherheit aus.« Man wende weltweit einheitliche Sicherheitsstandards an, zum Teil seien diese strenger als die lokalen Vorschriften. Der Einsatz der Mittel in Afrika sei auch deshalb gerechtfertigt, weil man es dort mit anderen klimatischen Herausforderungen und einem besonderen Schädlingsdruck zu tun habe, wie etwa die Heuschreckenplage vor zwei Jahren gezeigt habe. Besonders giftige Produkte habe man aber bereits vom Markt genommen. [...]
Auch gegen die deutsche Regierung richtet sich ihre Wut: »Die schicken uns ihre Mittel, die sie selbst nie nehmen würden. Wenn sie aber auf den Lebensmittelimporten aus Kenia Rückstände davon finden, werden die sofort abgelehnt. Diese Scheinheiligkeit ist unerträglich!« Teils hätten Farmer zwei verschiedene Felder, erzählt sie: eins für den Export, mit den milderen Mitteln. Und eins für den heimischen Markt, »da kommt das ganze Gift zum Einsatz«.
Tatsächlich hat die deutsche Ampelregierung im Koalitionsvertrag angekündigt, Exporte von in der EU aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit nicht zugelassenen Pestiziden zu verbieten. Doch eine neue Verordnung gibt es bis heute nicht. »Die regierungsinterne Abstimmung dauert an«, teilt das Landwirtschaftsministerium hierzu mit. Laut Medienberichten bremst bei diesem Vorhaben vor allem die FDP. In der Zwischenzeit hofft man in Berlin wohl auf die EU, denn die Kommission in Brüssel hat eine ähnliche Initiative gestartet. [...]
Trotzdem glaubt die 42-Jährige, dass Anbau ohne Pestizide auch auf großen Farmen möglich ist. »Wir müssen endlich aufhören, uns selbst zu vergiften«, sagt sie. »Der Westen muss aufhören, Afrika zu vergiften.«