Lützerath: Energiekonzern RWE reißt Dorf trotz Widerstand von Anwohner*innen und Klimaaktivist*innen für Kohleabbau ab
Der Energiekonzern RWE plant das Dorf Lützerath in Nordrhein-Westfalen für die Kohlegewinnung im Tagebau Garzweiler II abzubaggern.
Über Jahre wehrten sich die (ehemaligen) Bewohner*innen des Dorfes in verschiedenen Initiativen wie dem Bürgerbündnis "Alle Dörfer bleiben" gegen die Räumung. Die Initiative "Menschenrecht vor Bergrecht", in der sich Menschen aus den bedrohten Ortschaften und Anwohner*innen aus Grubenranddörfern zusammengefunden haben, möchte "nicht weiter hinnehmen, dass unsere Häuser, unsere Gärten und fruchtbaren Ackerflächen, unsere Kulturdenkmäler, sprich unsere gesamte Vergangenheit, für klimaschädliche Braunkohle vernichtet wird." Die Bewohner*innen sehen in ihrer erzwungenen Umsiedlung, in dem Abriss der Ortschaften und dem mit der Verbrennung von Kohle einhergehenden Beitrag zum Klimawandel einen Verstoß gegen Menschen- und Grundrechte. Der Klimawandel bedrohe unter anderem die Menschenrechte auf Leben, auf Nahrung und auf Gesundheit von Millionen Menschen. Laut dem UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umwelt verpflichten die Leitprinzipien der UN Unternehmen wie RWE dazu, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren und (gesetzliche) Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung des Klimawandels zu unterstützen, anstatt sie zu bekämpfen.
Die von der Initiative "Menschenrecht vor Bergrecht" eingereichte Verfassungsbeschwerde gegen das Kohlegesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. Nachdem der letzte Landwirt von Lützerath den Rechtsstreit mit RWE 2022 in letzter Instanz verlor, waren die rechtlichen Schritte der Bewohner*innen erschöpft.
Im Sommer 2022 sprach sich der Bundestag für den Erhalt des Dorfes aus. Im Oktober 2022 verkündeten Bundesregierung, Landesregierung und RWE den Kohleausstieg in NRW auf 2030 vorzuziehen, dafür aber Lützerath abzureißen – ein Beschluss, der laut DIW-Studie im realistischsten Szenario kein CO2 eingespart, weshalb sich - wie schon bei den Protesten um den Hambacher Forst - auch viele Klima- und Menschenrechtsaktivist*innen gegen die anstehende Räumung stellten. Sie hielten die Häuser des Ortes besetzt und hatten ein Protestcamp mit etwa 30 Baumhäusern erbaut.
#RoteLinie verläuft vor #Keyenberg und #Lützerath ‼️
— Antje Grothus (@antjegrothus) June 12, 2021
Ich weiß nicht, was mich mehr betrübt:
dass @arminlaschet
❌nicht auf die Wissenschaft hört
❌die Menschenrechte der Anwohner*innen missachtet#Klimagerechtigkeit#GarzweilerStopp #JustTransitionhttps://t.co/1smxHDMUWS pic.twitter.com/LhMzktT9wy
RWE hat in einer Pressemitteilung vom 11. Januar zu der Kritik Stellung bezogen: "Die Kohle unter der ehemaligen Siedlung Lützerath, die im unmittelbaren Vorfeld des Tagebaus Garzweiler liegt, wird hingegen benötigt, um die Braunkohlenflotte in der Energiekrise mit hoher Auslastung zu betreiben und so Gas bei der Stromerzeugung in Deutschland einzusparen. Gleichzeitig wird ausreichend Material für eine hochwertige Rekultivierung benötigt. [...]"
Im Vorfeld der Räumung im Januar haben wir die Firma LÜCKER, die im Auftrag von RWE Abrissarbeiten vornimmt, um Stellungnahme zu einer Pressemitteilung von Parents for Future gebeten. Dort wurde das Unternehmen aufgefordert wird, alle Abrissarbeiten in Lützerath einzustellen. Das Unternehmen hat auf unsere Anfrage nicht geantwortet.
Die Räumung fand Mitte Januar 2023 trotz einer Demo mit 35.000 Teilnehmer*innen statt; es wurde dabei vielfach Polizeigewalt gegen friedliche Demonstrant*innen dokumentiert. Auch die enge Kooperation zwischen der Polizei und RWE im Zuge der Räumung und während der Großdemonstration, beispielsweise das Stellen von Gefangenentransporter durch RWE und die Übergabe von Wertgegenständen wie Laptops und Smartphones von der Polizei an RWE, stand in öffentlicher Kritik.
Mehrere Demonstrant*innen, darunter die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, blieben auch nach der Räumung für mehrere Tage vor Ort. Nach einem erneuten Protest in der Nähe der Abbruchkante wurden einige Aktivisten, darunter auch Thunberg, zur Identitätsfeststellung festgehalten. Sie wurden kurz darauf wieder freigelassen.
Im März 2023 veröffentlichte das Komitee für Grundrechte und Demokratie einen Bericht zu ihrer Demonstrationsbeobachtung und erhob verschiedene Vorwürfe, wonach bei der Räumung von Lützerath Grundrechte, unter anderem das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und das Grundrecht auf Meinungsäußerung, verletzt wurden. Wir haben die RWE Power AG kontaktiert und um eine Stellungnahme zu folgenden Vorwürfen gebeten:
- Es soll mutmaßlich zu einer engen Zusammenarbeit zwischen RWE und der Polizei gekommen sein. Die Autor*innen berichten, dass die Polizei den Maschinenpark von RWE zur Durchführung der Räumungen und zum Transport der Gefangenen nutzte und sich über den Tagebau einen Weg zum Dorf verschaffte.
- Die Polizei und RWE sollen die Berichterstattung in und um Lützerath systematisch erschwert haben, es soll mutmaßlich zu vereinzelten körperlichen Übergriffen gegen Journalist*innen gekommen sein.
- Der Einsatz von der Polizei und RWE bei der Räumung soll mutmaßlich hektisch verlaufen sein und so Menschenleben gefährdet haben. RWE wird unter anderem vorgeworfen, die Pappeln an der Straße zur Mahnwache mit Harvestern gefällt zu haben, während sich dort noch Menschen mit ihren Klettergurten in Traversen befunden haben.
- Die Polizei soll bei der Verteidigung des Geländes von RWE „brutale Gewalt“ angewendet haben.
- Die Demo-Sanitäter*innen berichten davon, dass ihre medizinische Arbeit durch RWE behindert wurde.
Die RWE Power AG verwies in ihrer Antwort auf ihre Pressemitteilung vom 14. Januar 2023. Dort bezog RWE am Tag der Großdemonstration Stellung: "Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht gehören zu den wichtigsten Grundrechten in unserem Rechtsstaat. RWE respektiert jede Kritik, die friedlich und im Rahmen der Gesetze vorgetragen wird. Im Rahmen der heutigen Demonstration wurde aber dazu aufgerufen, sich zur Not auch gewaltsam Zugang zur derzeit abgesperrten ehemaligen Siedlung Lützerath zu verschaffen. Das Unternehmen ist entsetzt über die Aggressionen und die Gewalt, die von Teilen der Aktivisten ausgingen. Das hat mit der ansonsten friedlichen Demonstration nichts mehr zu tun. [...]"