Pakistan: Laut Studie bislang kaum wirksame Maßnahmen deutscher Unternehmen gegen Lohnverstöße in Textilindustrie; Verpflichtungen unter LkSG
"Keine Verträge, keine Rechte: Wie die Modeindustrie ihre Arbeiter*innen um Mindestlöhne betrügt"
Neue Forschungsergebnisse der pakistanischen Gewerkschaften NTUF und HBWWF sowie der deutschen Menschenrechtsorganisationen FEMNET und ECCHR zeigen, dass in den Lieferketten deutscher Unternehmen oftmals nicht einmal der Mindestlohn gezahlt wird [...] Das am 1. Januar 2023 in Kraft getretene deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verpflichtet Unternehmen dazu, die Einhaltung von Arbeitsrechten in ihren Wertschöpfungsketten sicherzustellen. Aus diesem Grund haben die Autor*innen der Studie jene von den befragten Arbeiter*innen benannten Unternehmen, die unter das neue Gesetz fallen, über die Arbeitsrechtsverletzungen bei ihren Produzenten in Pakistan informiert. Auch wenn viele der Marken noch keine wirksamen Maßnahmen ergriffen haben, so hat das Gesetz doch maßgeblich dazu beigetragen, dass einige Unternehmen nun Verantwortung für die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten übernehmen.
Zusammenfassung
Die meisten Arbeiter*innen in pakistanischen Bekleidungsfabriken werden um ihren rechtmäßigen Lohn betrogen: Die große Mehrheit erhält keine schriftlichen Verträge, Lohnabrechnungen oder Löhne, die es ihnen ermöglichen würden, ihre Familien zu ernähren. Außerdem stellen die Fabriken in Pakistan oft nur einen kleinen Teil der Arbeiter*innen direkt ein. Viele Arbeiter*innen werden über Dritte eingestellt, die als Vermittler zwischen den Textilfabriken und den Arbeitern fungieren. Oft erhalten diese Arbeiter*innen nicht einmal nominell den gesetzlichen Mindestlohn und sind nicht im Sozialversicherungssystem registriert. Dieses so genannte "contracting system" der Leiharbeit ist eine Möglichkeit, sich bei Bedarf flexibel der Arbeiter*innen zu entledigen. Das System erschwert die Rückverfolgung von Arbeitsrechtsverletzungen und die Zuordnung von Arbeiter*innen zu den Fabriken. Diese Praktiken sind hinlänglich bekannt, auch den Marken und Einzelhändler, die in Pakistan produzieren lassen. Dennoch haben die Unternehmen diese offensichtlichen Arbeitsrechtsverletzungen jahrzehntelang ignoriert. Zugleich gibt es weltweit eine wachsende Bewegung, Konzerne gesetzlich zur Einhaltung von Menschenrechten zu verpflichten. [...]
Um zu beurteilen, wie Unternehmen, die unter das neue deutsche Gesetz1 fallen, ihre Sorgfaltspflichten umsetzen, haben die deutschen Menschenrechtsorganisationen ECCHR und FEMNET eine Umfrage unter Arbeiter*innen in Pakistan in Auftrag gegeben, die für solche Marken und Einzelhändler Kleidung produzieren. Dazu wurden zwischen Januar und Juni 2023 mehr als 350 Arbeiter*innen von den pakistanischen Gewerkschaftsverbänden National Trade Union Federation (NTUF) und HomeBased Women Worker's Federation (HBWWF) in verschiedenen Fabriken in der Provinz Sindh befragt. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Marken und Einzelhändler bisher keine wirksamen Maßnahmen ergriffen haben, um zu verhindern, dass Arbeiter*innen ein angemessener (existenzsichernder) Lohn vorenthalten wird.
Von den über 350 befragten Arbeiter*innen hatten 97 % keinen schriftlichen Arbeitsvertrag, und 80 % erhielten nicht einmal eine Lohnabrechnung. 29 % der Arbeiter*innen gaben an, über Dritte beschäftigt zu sein. In den Fabriken, in denen die Beschäftigung über Dritte besonders häufig gemeldet wurde, ging dies auch mit besonders schwerwiegenden Verstößen gegen das Arbeitsrecht einher, einschließlich der Vorenthaltung von angemessenen Löhnen: Etwa 28 % der Arbeiter*innen erhielten nicht einmal nominell den gesetzlichen Mindestlohn für "ungelernte Arbeiter*innen" von 25.000 PKR pro Monat 3 . In 94% dieser Fälle war keine Gewerkschaft aktiv, und 84% derjenigen, die den gesetzlichen Mindestlohn nicht erhielten, waren entweder über Dritte beschäftigt oder erhielten Akkordlohn. [...]
Die Ergebnisse der Befragung bestätigen die Schwere der Probleme, die seit Jahren über die pakistanische Textilindustrie bekannt sind, zeigen aber auch, dass Marken und Einzelhändler trotz der Verpflichtung durch das LkSG bisher nicht auf die bekannten Verstöße gegen die Rechte der Betroffenen reagiert haben.