Rechtliche Unternehmensverantwortung – Vierteljährliches Bulletin – September 2016
Willkommen zu unserem vierteljährlichen Bulletin “Unternehmen vor Gericht.” In jedem Quartal bespricht dieses Bulletin ein Schwerpunktthema, sowie neue Entwicklungen bei der rechtlichen Durchsetzung der Unternehmenshaftung für Menschenrechtsverletzungen. Auf unserer englischen Webseite informieren wir im Abschnitt “Corporate Legal Accountability” objektiv und prägnant über Fälle, in denen Unternehmen wegen vermeintlicher Verstöße gegen Menschenrechte belangt werden.
Sie können dieses Bulletin und vorhergehende Ausgaben auf englisch, chinesisch, französisch, russisch und spanisch abrufen.
Vierteljährliches Schwerpunktthema September 2016: Unternehmenshaftung für moderne Sklaverei
Moderne Sklaverei wird derzeit in den internationalen Medien viel diskutiert. Zuletzt lenkte die Aufdeckung brutaler Arbeitspraktiken in den Wertschöpfungsketten asiatischer Fischereien und die radikale Beschneidung von Arbeiterrechten im Bausektor am Persischen Golf die globale Aufmerksamkeit auf das Thema. Neue Gesetze, wie der britische UK Modern Slavery Actund der California Transparency in Supply Chains Act zielen darauf ab, die Transparenz in der Lieferkette von Unternehmen zu verbessern. Einige erfolgreiche Klagen und andere noch laufende Verfahren senden ein klares Signal: das unternehmerische Haftungsrisiko steigt, wenn Unternehmen das Vorkommen von moderner Sklaverei in ihrer Lieferkette nicht überprüfen. Gleichzeitig zeigt die Abweisung einiger anderer, wegweisender und innovativer Klagen deutlich, dass der Rechtsschutz gegen negative Auswirkungen von Unternehmenshandlungen noch immer stark lückenhaft ist.
Organisationen wie Freedom Fund und das Human Trafficking Pro Bono Legal Center betonen die Bedeutung von strategischer Prozessführung, um Opfern moderner Sklaverei den Zugang zu Abhilfe zu ermöglichen und Unternehmen für moderne Sklaverei zur Verantwortung zu ziehen. Derzeit laufende Verfahren, wie die in Kanada anhängige Klage gegen Nevsun wegen Zwangsarbeit in Eritrea oder die in den USA anhängige Klage gegen KBR und Daoud & Partners wegen Menschenhandels im Irak bestätigen das Potential strategischer Prozessführung. Wenn strategische Prozessführung mit einschlägiger Lobby- und Advocacyarbeit verbunden wird, zieht sie die Aufmerksamkeit der breiteren Öffentlichkeit und von Journalisten auf sich und ihre Wirkungskraft nimmt zu. Das war zum Beispiel der Fall als indische Arbeiter, die in die USA geschmuggelt worden waren, dort ein Urteil gegen
Signal International erwirken konnten. Das Unternehmen musste in mehreren Fällen Abfindungen i.H.v. 20 Millionen USD zahlen. Unter großer medialer Aufmerksamkeit meldete es wenig später Insolvenz an. Andere Unternehmen können diesen Fall nur als Warnung verstehen, dass die Konsequenzen ernstzunehmend sind, wenn Menschenhandel oder Zwangsarbeit in der eigenen Lieferkette nachgewiesen wird.
Im Mai organisierte das Business & Human Rights Resource Centre und die Universität von Notre Dame eine Veranstaltung zum Thema Strategische Prozessführung in Bezug auf moderne Sklaverei in globalen Lieferketten. Professor Roger Alford (Universität von Notre Dame) betonte, dass Vorwürfe wegen menschenrechtlicher Vergehen - umformuliert zu nationalen Schadensersatzklagen - großes Erfolgspotential bergen. Dabei zitierte er ein Dutzend derzeit anhängiger Fälle, einschließlich von Verfahren gegen Restaurants und andere Unternehmen. So könnte zum Beispiel ein Opfer von Menschenhandel wegen unzulässiger Inhaftnahme klagen. Das nationale Schadensersatzrecht könnte Opfern dabei helfen, Abhilfe zu erhalten. Dies besonders relevant seitdem die Kiobel Entscheidung 2013 die Möglichkeit der Geltendmachung internationaler Menschenrechte vor US Gerichten auf Grundlage des US Alien Tort Claims Acts stark eingeschränkt hat. Im Vereinigten Königreich hat ein Gericht zum ersten Mal im Juni 2016 ein Urteil gegen ein britisches Unternehmen wegen Menschenhandles erlassen. Migranten aus Litauen hatten gegen DJ Houghton Chicken Catching Services geklagt, nachdem sie geschmuggelt und massiv ausgebeutet worden waren.
Es gibt auch andere Ansätze: Anwälte in den USA nutzten die Auskunftspflichten aus dem California Transparency in Supply Chains Act, um Unternehmen wegen moderner Sklaverei in der südostasiatischen Fischfangindustrie zu verklagen. Dieser Ansatz ist umstritten, vor allem unter den Akteuren, die sich aktiv gegen Zwangsarbeit einsetzen. Grund hierfür ist, dass der Ansatz im Endeffekt die beklagten Unternehmen für die Veröffentlichung von umfassenden Berichten bestraft. Die Unternehmen, die nur beschränkt Informationen offenlegen, können nicht verklagt werden. So wirkt sich umfassende Offenlegung dem Unternehmen zum Nachteil aus. Zwar war bisher keines dieser Verfahren erfolgreich, einschließlich der Verbrauchersammelklage gegen die Einzelhandelskette Costco und ihren thailändischen Lieferanten für Meeresfrüchte CP Foods. Die Klage wurde im Januar 2016 zurückgewiesen, nachdem die Klägerin nicht nachweisen konnte, dass die Shrimps, die sie erworben hatte, tatsächlich aus Thailand stammten. Die Sammelklage gegen Nestlé verlief ähnlich: sie wurde im Dezember 2015 abgelehnt. In der Klage wurde Nestlé vorgeworfen, dass in seiner Lieferkette für Katzenfutter Zwangsarbeit vorkam, die Nestlé nicht offengelegt hatte.
Wissenschaftler und Experten drängen, dass UN- und andere Mechanismen gestärkt werden sollten, um Unternehmen für Zwangsarbeit zur Rechenschaft ziehen zu können. Dr. James Cockayne’s Bericht, der im Dezember 2015 veröffentlicht wurde, fordert Staaten dazu auf, “[zu untersuchen] welchen rechtlichen Risiken Unternehmen in Bezug auf etwaige strafrechtliche Verfahren wegen Vorwürfen der Sklaverei ausgesetzt sind und mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass die Betroffenen Zugang zu Abhilfe erhalten, auch durch strafrechtliche Verfahren.” Der Bericht fordert auch, dass die Versammlung der Vertragsstaaten am Internationalen Strafgerichtshof offiziell zu Strafverfahren Stellung nimmt, die sich mit Sklavereivorwürfen befassen, einschließlich der Frage nach der Unternehmensverantwortung.
In der Golfregion ist keine der oben genannten Optionen verfügbar. Nichtregierungsorganisationen (NRO) haben wiederholt auf die mangelnden Rechenschaftspflichten von Bauunternehmen hingewiesen. In den meisten Fällen wird zwar der Tod eines Arbeiters an die Familie kompensiert. Andere Formen der Misshandlung, wie Zwangsarbeit und moderne Formen der Sklaverei bleiben jedoch ohne Konsequenzen. Im März 2015 reichte die NRO Sherpa in Frankreich eine Beschwerde gegen die Baufirma Vinci und ihre katarische Tochrerfirma ein, in der Sie Vorwürfe wegen Zwangsarbeit auf den katarischen Baustellen im Vorfeld der für 2022 in Katar geplanten Fußballweltmeisterschaft erhob. Die Firma stritt alle Vorwürfe ab. Die gerichtliche Untersuchung läuft weiter.
Schließlich gab es auch einige Initiativen, moderne Sklaverei direkt dort gerichtlich zu verfolgen, wo sie passiert. Zum Beispiel kooperiert der Freedom Fund mit internationalen anti-Sklaverei Anwälten und der mauretanischen NRO SOS-Esclaves, um die Straffreiheit für moderne Sklaverei direkt vor Ort zu beenden.
Der UK Modern Slavery Act und das kalifornische Transparenzgesetz enthalten Offenlegungspflichten, jedoch keine Strafnormen oder andere Rechenschaftsmechanismen für Unternehmen, die von Zwangsarbeit profitieren. Die Akteure, die sich für die Abschaffung von Zwangsarbeit und der unterschiedlichen Formen von moderner Sklaverei einsetzen, bewerten diese Gesetze zwar als eine wichtige rechtliche Anforderung an unternehmerische Transparenz. Unsere Analyse der bisherigen Umsetzung des UK Modern Slavery Acts zeigt jedoch, dass die meisten Unternehmensberichte bisher nicht die Anforderungen des Gesetzes erfüllen. Der September 2016 ist ein wichtiges Datum für die unternehmerische Berichterstattung über die getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung von moderner Sklaverei in globalen Lieferketten. Akteure, die sich für ein Ende der modernen Sklaverei einsetzen, Investoren, Regierungsvertreter und andere interessierte Personen, werden in dieser Zeit genau beobachten, ob tatsächlich Fortschritte seit der Veröffentlichung der ersten Erklärungen gemacht worden sind. Die Erklärungen, die von über 500 Unternehmen im Zusammenhang mit dem UK Moden Slavery Act veröffentlicht worden sind, sind in einer frei zugänglichen Datenbank verfügbar.
Das Fehlen von Abhilfemechanismen in vielen Regionen wie zum Beispiel dem Persischen Golf und das Fehlen von Durchsetzungsmechanismen in Gesetzen wie dem Modern Slavery Act, werfen grundlegende Fragen auf: Wie können Opfern moderner Sklaverei ihre Schäden rechtlich geltend machen und was können ihre Vertreter tatsächlich tun, um ihnen dabei zu helfen, Gerechtigkeit durchzusetzen?
Rechtliche Entwicklungen
- Neue Fälle
Verfahren gegen Castro (Sklaverei in Thailand): Im August 2015 legte eine Verbraucherin in Kalifornien Sammelklage gegen Castro und seinen thailändischen Zulieferer von Meeresfrüchten - CP Foods - ein. Sie behauptete, dass Castco wusste, dass in seiner Zuliefererkette in Thailand Menschenhandel vorkam. Weil Castro diese Information seinen Kunden gegenüber nicht offengelegt hatte, soll es gegen das kalifornische Verbraucherschutzgesetz verstoßen haben. Im Januar 2016 wurde die Klage abgewiesen, weil die Klägerin nicht nachweisen konnte, dass die Garnelen, die sie gekauft hatte, tatsächlich aus Thailand stammten. Der Fall könnte jedoch wieder aufgenommen werden. Dafür müssten die zuständigen Anwälte einen Verbraucher finden, der tatsächlich die betroffenen thailändischen Garnelen gekauft hat und die Klage weiter führen möchte.
Klage gegen DJ Houghton (Litauische Migranten): Im Dezember 2014 reichten sechs litauische Migranten in Großbritannien eine Zivilklage gegen die Firma DJ Houghton Chicken Catching Services ein. Die Kläger wurden 2008 nach Großbritannien geschmuggelt, um Hühnchen auf Hühnerfarmen zu fangen. Die Kläger behaupten, nach ihrer Einreise auf der Farm von ihren Vorgesetzten schwer ausgebeutet, bedroht und misshandelt worden zu sein. Am 10 Juni 2016 befand das höchste Londoner Gericht das Unternehmen für schuldig, und ordnete an, dass es ausstehenden Lohn nachzahlen sollte. Die weiteren Vorwürfe, u. A. wegen individuellen körperlichen Verletzungen und Misshandlungen, werden derzeit weiter verhandelt.
Klage gegen Nestlé (Zwangsarbeit in der thailändischen Fischereiindustrie): Im August 2015 reichten Verbraucher in Kalifornien eine Sammelklage gegen Nestlé ein. Sie behaupteten, dass Nestlé gegen das kalifornische Verbraucherschutzgesetz verstoßen hatte, weil es nicht offengelegt hatte, dass in seiner Lieferkette für Katzenfutter womöglich Zwangsarbeit vorgekommen sein könnte. Im Dezember 2015 wies das zuständige Gericht die Klage zurück, und befand, dass das kalifornische Gesetz für Transparenz in Lieferketten zwar ein Unternehmen dazu verpflichtet, offenzulegen, was es unternimmt, um Zwangsarbeit vorzubeugen. Die Offenlegungspflicht umfasst jedoch nicht die Offenlegung des tatsächlichen Risikos von Zwangsarbeit in seiner Lieferkette. Die Kläger haben Berufung eingelegt.
- Neue Entwicklungen laufender Fälle
Apartheid Entschädigungsklagen (Südafrika): Am 20 Juni wies der Oberste Gerichtshof die Berufung der Kläger zurück. Die Kläger hatten gegen die Entscheidung eines niedrigeren Gerichts Berufung eingelegt. Das Gericht hatte in seiner Entscheidung festgestellt, dass die Kläger keinen hinreichenden Zusammenhang zwischen den Handlungen von IBM und Ford in den USA und den Menschenrechtsverletzungen der Apartheidregierung nachweisen konnten.
Goldbergbauarbeiter Silicosisverfahren (Südafrika): Am 24 Juni wies der höchste südafrikanische Gerichtshof die Berufung diverser Unternehmen zurück, mit der sie gegen die Entscheidung eines niedrigeren Gerichts vorgehen wollten, das die Silicosis-Sammelklage zugelassen hatte.
Klage von Bananenproduzenten gegen Davao City (Versprühen von Pestiziden). Im August entschied das Höchste philippinische Gericht, dass die Anordnung von Davao City, die das Versprühen von Pestiziden verbot, gegen die Verfassung verstieß.
Klage gegen Eternit (Asbest in Italien): Am 21 Juli entschied das italienische Verfassungsgericht, dass der ehemalige CEO, Stephan Schmidheiny, nicht wegen Todesfällen verklagt werden kann, die bereits Gegenstand anderer Klagen gewesen sind
Klage gegen die Internationale Finanz-Corporation (Finanzierung von Kohlekraftwerken in Indien): Im August legten betroffene Gemeinschaften und Farmer Berufung ein. Darin brachten sie vor, dass im Lichte der neusten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs der USA, die Internationale Finanz-Corporation keine absolute Immunität genießt und wegen Schäden, die im Zusammenhang mit indischen Kohlekraftwerken entstanden sind, auf Schadensersatz verklagt werden können sollte.
Klage gegen Nestlé, Cargill, Archer Daniels Midland (Kinderarbeit an der Elfenbeinküste): Im Juli reichten die Kläger eine abgeänderte Beschwerde ein, in der sie die Verbindung ihrerer Klagen mit den USA erklärten, um zu rechtfertigen, dass die Klagen vor einem US-amerikanischen Gericht verhandelt werden soll.
Klage gegen Texaco/Chevron (Ölverschmutzung in Ecuador): In einem internationalen Schiedsverfahren war der Staat Ecuador zu der Zahlung von 112 Millionen USD Entschädigung an Chevron verurteilt worden. Im Juli zahlte Ecuador die Summe aus. Im August bestätigte ein US-amerikanisches Berufungsgericht die Entscheidung eines niedrigeren Gerichtshofs, in dem festgestellt worden war, dass die ecuadorianische Gesellschaft nicht die 9.5 Mrd. USD aufbringen kann. Die ecuadorianische Entscheidung sei durch korrupte Methoden erreicht worden. Die Anwälte der ecuadorianischen Kläger untersuchen weitere Berufungsmöglichkeiten.
Klage gegen Union Carbide/Dow (Wasserverschmutzung nach der Bhopal-Katastrophe): Im Juli baten die Opfer der Bhopal-Katastrophe das zuständige US-amerikanische Gericht darum seine Entscheidung vom 24 Mai zu überdenken. Darin hatte das Gericht entschieden, dass ihre Klage gegen Union Carbide unzulässig sei.
Klage gegen Villaggio Mall (Tödliches Feuer, Katar): Im Juni legte der katarische Generalstaatsanwalt Berufung gegen eine im April ergangene Entscheidung ein. In der Entscheidung war festgelegt worden, dass keiner der Beklagten zu Gefängnisstrafen zu verurteilen sei. Die Angelegenheit wird Ende des Jahres 2016 vor dem Berufungsgericht verhandelt.
Klage gegen Vedanta Resources (Wasserverseuchung in Zambia): Im Juni gaben die beklagten Unternehmen bekannt, dass sie gegen die im Mai erlassene Entscheidung Einspruch erheben würden, in der die Klage für zulässig befunden worden war.