Schweden: Gewerkschaften setzen Tesla im Kampf um Recht auf Tarifvertrag unter Druck
"Streiks bei Tesla: Wie die Skandinavier Elon Musk in die Knie zwingen wollen"
In kaum einem Land wird so wenig gestreikt wie in Schweden. Doch seit Monaten gehen Arbeiter dort gegen Tesla auf die Barrikaden. Sie verteidigen etwas, wofür Menschen bereit sind, bis ans Äußerste zu gehen: ein Prinzip. [...]
Am Kanalvägen 16 hat der US-Autobauer Tesla eine seiner elf schwedischen Niederlassungen, in einem sechsgeschossigen Bau, vor dessen Ziegelmauern das rote Zelt noch winziger aussieht als ohnehin schon. Auf dem Fähnchen neben dem Zelt steht: "Vi kräver kollektivavtal!", Wir fordern einen Tarifvertrag! Der unbemützte Sonnenanbeter aus Västerås sagt: "Es geht bei diesem Streik um alles. Sie haben keine Ahnung, was hier los ist, wenn wir den Kampf verlieren."
Deshalb erst mal für alle, die keine Ahnung haben: Was ist hier überhaupt los? Am 27. Oktober vergangenen Jahres rief die IF Metall, die Gewerkschaft, die in Schweden für alle Arbeiter im Autosektor zuständig ist, die Mechaniker in den elf Tesla-Servicecentern des Landes zum Streik auf. Vorher hatte die Gewerkschaft fünf Jahre lang versucht, Tesla zu einem Tarifvertrag zu bringen, ohne jeden Erfolg. Von den 130 Beschäftigten traten noch am selben Tag etwa 40 in Streik. [...]
Die Streiks bei Tesla wurden in den Medien anfangs mit dem Kampf zwischen David und Goliath verglichen - eine Handvoll Arbeiter, die sich trotz massiver Einschüchterungstaktiken ihrer Vorgesetzten trauen, gegen ein mächtiges, global operierendes Unternehmen und dessen Besitzer, den reichsten Mann der Welt, aufzustehen. Das Bild hat nur einen Haken: Goliath Musk steht nicht einem kleinen David gegenüber, sondern den schwedischen Gewerkschaften, die mehr Macht und Handlungsmöglichkeiten haben als die meisten anderen Gewerkschaften der Welt. Was sie Musk bald spüren ließen.
Als Tesla Streikbrecher anstellte, um die durch den Streik entstandenen Lücken schnell zu schließen, beschlossen verschiedene Gewerkschaften, den Streikenden beizuspringen. Die Transportgewerkschaft holte den Müll in den Tesla-Filialen nicht mehr ab. Außerdem wies sie die Arbeiter in allen Häfen des Landes an, keine Tesla-Autos oder Ersatzteile mehr zu entladen.
Elektrikerna, die Gewerkschaft aller Elektriker, weigerte sich, die Tesla-Werkstätten und die 213 Ladestationen zu warten, die quer durchs Land stehen. Die Post-Gewerkschaft stellte keine Post mehr an die Tesla-Werkstätten zu. Briefe und Urlaubspostkarten wären sicher zu verschmerzen gewesen, aber plötzlich standen die Filialen ohne Nummernschilder da, die werden in Schweden nämlich ebenfalls per Post verschickt. Insgesamt neun Gewerkschaften setzten solche Maßnahmen durch. Streng genommen kann man sie nicht als Streiks bezeichnen, die Leute arbeiten ja, weigern sich nur, sämtliche Tätigkeiten auszuführen, die mit Tesla in Zusammenhang stehen.
Als Elon Musk das mit den Nummernschildern hörte, schäumte er: "This is insane!" (Das ist verrückt!) Dabei ist es gar nicht verrückt, sondern einfach nur schwedisches Arbeitsrecht.[...]
Die Vorsitzende der IF Metall sagt am Telefon, man werde auf keinen Fall aufgeben, die Streikkasse sei mit einer Milliarde Euro voll genug, "um ungefähr 500 Jahre durchzuhalten". Außerdem sei die Moral bei den Streikenden weiterhin hoch. Die Gewerkschaft zahlt ihnen 130 Prozent ihres Gehalts, um auch Zuschläge wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld voll zu kompensieren. [...]
Vor allem aber fürchtet er einen Präzedenzfall. Die 130 schwedischen Mitarbeiter machen gerade mal ein Promille der weltweiten Belegschaften aus. Aber sollte er hier nachgeben und einem Tarifvertrag zustimmen, so die Befürchtung, dann wird es aus anderen Ländern ähnliche Forderungen geben. [...]