EU drängt auf stärkeres Lieferkettengesetz
EU-Justizkommissar Didier Reynders erwartet von der Einigung der Bundesregierung auf ein Lieferkettengesetz Rückenwind für ein EU-Gesetz. „Es hilft uns enorm, wenn Deutschland nun wie Frankreich und zum Teil die Niederlande die Unternehmen stärker in die Verantwortung dafür nehmen will, woher sie ihre Vorprodukte beziehen“, betont Reynders im Gespräch mit der F.A.Z.
Zugleich lässt er aber keinen Zweifel daran, dass die Kommission mit ihrem für Juni angekündigten eigenen Vorschlag weiter gehen will als Berlin. „Wir wollen ein starkes Signal aussenden“, sagt Reynders. „Wir wollen weit gehen, weit die Lieferkette herunter und weit, was die Zahl der betroffenen Unternehmen betrifft.“ Eine Schwelle von zunächst 3000 Mitarbeitern 2023 oder 1000 ein Jahr darauf, wie in Berlin geplant, geht Reynders nicht weit genug. „In einigen EU-Staaten gibt es gar keine Unternehmen mit so vielen Mitarbeitern“, sagt er. „Zudem sagt die Größe der Unternehmen nichts aus.“
Die Einfuhr von Textilien, die von chinesischen Zwangsarbeitern gepflückte Baumwolle enthalten, könne auch ein Kleinstbetrieb organisieren. Die Europäische Kommission werde deshalb alle Unternehmen einbeziehen, unabhängig von ihrer Größe... Gelten soll das nicht nur für Unternehmen mit Sitz in der EU, sondern für alle Unternehmen, die ihre Produkte im Binnenmarkt verkaufen wollen, weshalb sich die Kommission auch mit den Vereinigten Staaten abstimme.
Klar ist für Reynders, dass eine Beschränkung auf den ersten Zulieferer nicht ausreicht. Das habe nur einen beschränkten Effekt, weil die meisten dieser Zulieferer in der EU angesiedelt seien und es oft erst auf der sechsten oder siebten Stufe der Lieferkette heikel werde. Der Fokus soll nicht nur auf Verstößen gegen Menschenrechte liegen oder Verstößen gegen internationale Arbeitsnormen...
Die Unternehmen sollen konkrete Schritte machen, um die Gefahr von Verstößen gegen internationale Arbeitsnormen, Menschenrechte, den Umwelt- und den Klimaschutz zu minimieren, und das auch offenlegen. Tun sie das nicht in ausreichendem Maße, muss das für Reynders Folgen haben: „Wir denken nicht nur über Geldbußen für Verstöße gegen die Auflagen nach, sondern auch über strafrechtliche Konsequenzen.“
Unabhängig davon sollen die Unternehmen zivilrechtlich haften...
Reynders [rechnet] auch nicht damit, dass sich Unternehmen in Reaktion auf die neuen Auflagen ganz aus problematischen Ländern zurückziehen könnten und sich die Situation für die Arbeiter am Ort dann sogar verschlechtere, wie Kritiker der Lieferkettengesetze befürchten...
Reynders’ Ziel ist es, die neuen Regeln bis 2024 zu verabschieden. Das ist ehrgeizig, weil die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament bis dahin zustimmen müssen. Das Parlament wird in der kommenden Woche voraussichtlich eine Resolution verabschieden, die wohl auf Linie der Kommissionpläne ist. Unklar ist aber, wie sich die Staaten positionieren. Im Osten der EU gibt es keine Debatte über nachhaltige Lieferketten. Dessen ist sich Reynders bewusst. Auch die Industrie bleibe zurückhaltend, gesteht er ein. Dennoch ziehen die Unternehmen einheitliche EU-Regeln einem Nebeneinander nationaler Gesetze vor. Deutschland müsste seine Regeln nach einer Verabschiedung der Kommissionsvorschläge gegebenenfalls anpassen.