Interview: Sinnloser Streit ums Lieferkettengesetz? „Es wird so oder so Standard werden“
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) vertritt in Deutschland die Interessen von rund 188.000 Mitgliedern, etwa aus den Branchen Backwaren-, Milch-, Fleisch- und Süßwarenindustrie, ebenso Bierbrauer, der Obst- und Gemüseverarbeitende Industrien und der Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe, worunter auch Systemgastronomen wie McDonald’s, Vapiano und Burger King fallen wie auch Lebensmittel-Lieferdienste wie Lieferando.
WirtschaftsWoche: Herr Zeitler, Sie sagen, mit ihrer Blockade gegen das EU-Lieferkettengesetz „schadet“ die FDP deutschen Unternehmen. Die FDP wiederum sagt, sie wende Schaden von Unternehmen ab. Wer hat denn nun Recht?
Guido Zeitler: Man muss sich nur mal anschauen, was für deutsche Unternehmen seit einem Jahr schon gilt: Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz umfasst ja schon viele Regelungen, die auch schon lange auf europäischer Ebene diskutiert worden sind. Durch das EU-Gesetz wollen wir nun einen Gleichklang zwischen deutschen und europäischen Standards erreichen, um sozusagen Waffengleichheit herzustellen. Ich wüsste nicht, wieso das deutschen Unternehmen schaden sollte. Ich finde es bemerkenswert, dass nun zwei Minister nach den vielen Abstimmungsrunden in letzter Minute sagen: Nö, das finden wir nun doch nicht mehr gut.
Wie sicher sind Sie denn, dass alle Ihre 188.000 Mitglieder – oder wenigstens die Mehrheit – für dieses Gesetz sind?
Ich gehe nicht davon aus, dass alle 188.000 NGG-Mitglieder genau wissen, was im Gesetz drinsteht – genauso wenig, wie alle 82 Millionen Deutsche das wissen. Worum geht es im Gesetz? Es soll zum Beispiel Kinderausbeutung und Sklavenarbeit verhindern.
Ich unterstelle den allermeisten Unternehmen mal, dass sie diese Ziele unterstützen.
Richtig, aber das passiert nicht von allein. Wir brauchen mehr Verbindlichkeit in den Prozessen. Wir kommen aus einer Zeit der Globalisierung, wo Erfolg und Wachstum in erster Linie über den Preis definiert wurden. Die Frage lautete stets: Wo finde ich den billigsten Zulieferer? Die Frage, warum der so billig ist, wurde dagegen lange Zeit nicht gestellt. Es ging ausschließlich um den Preis. Da muss man gegenarbeiten.
Auch in den Branchen, die die NGG vertritt?
Auch in der Ernährungsindustrie verarbeiten wir Rohstoffe, die global gehandelt werden, wie Kakao oder Kaffee. Auch da gibt es seit einiger Zeit vermehrt Diskussionen, welche Standards gelten denn bei Anbau, Ernte und Transport? Wenn ich als Unternehmen nun mitbekomme, dass da in meiner Lieferkette etwas schief läuft, darf ich doch davor nicht die Augen verschließen und einfach weiter machen. Dann bin ich ja ein Teil davon! Und das sehen wohl auch alle 188.000 Mitglieder der NGG so.
Also meckert da wirklich keine Bäckerei, kein Hotel, kein Süßwarenbetrieb in Deutschland über die teuren Eigenkontrollen und den absehbaren Zuwachs an Bürokratie?
Das Lieferkettengesetz in Deutschland gilt ja schon. Und natürlich gibt es unterschiedliche Reaktionen. Aber grundsätzlich werden Zertifizierungen nach sozialen, moralischen und klimafreundlichen Aspekten in Unternehmen immer wichtiger. Viele kümmern sich heute schon selbst darum, aus eigenem Interesse. Das hat auch mit dem Ranking auf dem Finanzmarkt zu tun.
Das trifft wohl eher auf die großen Konzerne zu. Im Dezember hatten mehrere europäische Konzerne die EU aufgefordert, endlich das Lieferkettengesetz umzusetzen, darunter waren etwa Aldi, Ikea, L’Oreal, Hapag-Lloyd und Unilever.
Aber auch Mittelständler fangen damit an, weil Banken bei der Kreditvergabe das einfordern. Da kommen Fragen: Wie wirst Du deiner Verantwortung als Unternehmen gerecht? Da ist schon was ins Rutschen gekommen. Die Frage lautet nun, welchen Weg geht man? Nimmt man die lange Strecke und glaubt, das wird sich schon mit der Zeit von alleine regulieren, weil auch der Finanzmarkt höhere Anforderungen stellt? Oder kürzt man den Prozess etwas ab und reguliert das gesetzgeberisch. ...