Interview mit ECCHR-Juristin Miriam Saage-Maaß über die Verrechtlichung der Globalisierung
«Kein Mitleid mit den Konzernen!», 12. November 2020
[Auf EU-Ebene] beginnt gerade die Vernehmlassung zu einem entsprechenden Gesetzesvorschlag der EU-Kommission. NGOs und Gewerkschaften haben ziemlich weitreichende Forderungen: dass die Haftung verschuldensunabhängig gelten muss. Damit würde der Konzern selbst dann für Schäden von Tochterfirmen oder Zulieferern haften, wenn nur diese die Sorgfaltspflichten verletzt haben. Eine Firma wie Nestlé würde also immer die Verantwortung tragen, auch wenn sie selbst nichts falsch gemacht hat. Es würde genügen, dass die Tochterfirma einen Schaden verursacht hat.
Hiesige Wirtschaftsverbände warnen bei einer Annahme der Kovi vor einer Klagewelle: Was sind die bisherigen Erfahrungen in Frankreich?
Diese Argumentation ist eine absolute Nebelpetarde. In Frankreich gibt es bisher vier Verfahren, die sieben Unternehmen betreffen. Man muss hier doch auch die Machtverhältnisse sehen: Es wird ja auch nach einer Annahme der Initiative nicht so sein, dass eine kongolesische Bäuerin, deren Ernte wegen einer Umweltverschmutzung verloren gegangen ist, das Branchenbuch von Zürich öffnen und sich einen Anwalt suchen kann. Die Betroffenen werden nach wie vor in einer unglaublich schwachen Position sein, logistisch wie finanziell. Bis sie in der Schweiz mit all den hohen Beweisstandards klagen können, braucht es sehr viel. Auch die Kosten sprechen übrigens nicht unbedingt dafür, in der Schweiz eine Klage einzureichen...
Globale Lieferketten sind menschen- und konzerngemacht und nicht natürlich gewachsen. Sie wurden von jenen Konzernen geschaffen, die jetzt behaupten, sie nicht kontrollieren zu können...
Die Globalisierung von Wirtschaftsinteressen ist bereits umfassend verrechtlicht und wunderbar juristisch abgesichert. Entgegen der neoliberalen Dogmatik, wonach es möglichst wenig Regulierung braucht, wurde das transnationale Wirtschaften in den letzten Jahrzehnten durch Recht und Regularien erst strukturiert, organisiert und damit ermöglicht: durch Freihandelsabkommen und bilaterale Investitionsschutzabkommen auf internationaler Ebene und über das Gesellschafts- und Vertragsrecht auf nationaler. Was aber noch nicht abgesichert ist, sind die Interessen von Betroffenen, also soziale und ökonomische Rechte und Rechte der Natur oder Umweltstandards...
Für ein neues Recht braucht es aber immer den politischen Willen – Recht und Politik sind keine getrennten Bereiche...