Interview: „Wohlstand und Anstand gehören zusammen.“
Es fängt damit an, dass wir viel mehr Fairness in den Welthandel bringen müssen. Gerade an unserem Umgang mit den Ländern des Globalen Südens zeigt sich, dass das reine „Laufen-Lassen“ von Marktkräften ohne einen ordnenden Rahmen dazu führt, dass die Schwächeren in die Röhre gucken. Nehmen wir als Beispiel die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen am Ende mancher Lieferkette, mit der wir unseren Wohlstand sichern...
Sie haben das Lieferkettengesetz angesprochen – aktuell ein heikles Thema im politischen Berlin. Worum geht es konkret und warum ist das Thema für die Sozialdemokraten so wichtig?
Ich finde es völlig legitim, dass die Politik sich darum kümmert, die Lebensverhältnisse der Menschen im eigenen Land so gut und verlässlich wie möglich zu gestalten. Aber unser Lebensstandard darf nicht darauf gründen, dass Menschen in anderen Regionen unter unwürdigsten Bedingungen leben und arbeiten, dass die Umwelt in diesen Staaten zerstört wird, dass Zivilisation zurückgeworfen wird. Ich möchte den Wohlstand sichern, indem wir fair mit allen umgehen. Wohlstand und Anstand gehören zusammen. Was heißt das konkret? Unternehmen, die im Ausland produzieren und in Deutschland Geschäfte machen, müssen ein Augenmerk darauf haben, unter welchen Bedingungen Rohstoffe gewonnen und Waren hergestellt werden. Mit dem Lieferkettengesetz wollen wir sicherstellen, dass Unternehmen hier haftbar gemacht werden können, wenn sie Geschäfte mit ausbeuterischen Zulieferern machen... Unternehmen, die in Deutschland produzieren, dürfen nicht etwa die Lieferkette umdrehen und sich die Arbeiter aus dem Ausland liefern lassen, die sie dann hier ausbeuten. Sehen wir uns die Fleischindustrie an: Das Fleisch wird zwar in Deutschland verarbeitet, aber die Mitarbeiter werden importiert. Hier arbeiten viele unter unwürdigsten Bedingungen. Das geht nicht. Da sind wir entschlossen hineingegrätscht. Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz haben wir Sozialdemokraten in der Koalition einen enormen Fortschritt durchgesetzt.
Nun wird aber bemängelt, dass durch ein Lieferkettengesetz die Wirtschaft in einem Moment ausgebremst wird, in dem sie wegen Corona ohnehin schon stark gebeutelt ist. Können wir uns das in der jetzigen Situation überhaupt leisten?
Wenn Menschlichkeit und Anstand zum Wettbewerbsnachteil würden, hätten wir vor der Werteblindheit entfesselter Märkte kapituliert. Märkte brauchen einen Rahmen, der Wohlstand und Anstand beieinander hält. Ich glaube, dass die Krise auch Augen öffnet... Selbstverständlich müssen wir dafür sorgen, dass in Deutschland die Wirtschaft so schnell wie möglich wieder in Gang kommt. Aber wir müssen auch die Chance ergreifen, beides zu machen: Wir müssen Weichen stellen, damit mit der Bekämpfung von Corona nicht andere Krisen aus dem Blick geraten. Die Pandemie ist das eine. Die Krise von Armutsflucht und Armutsmigration aber hängt unmittelbar zusammen mit der Ungerechtigkeit der Handelsbeziehungen. Das gleiche gilt für die weltweite Zerstörung des Klimas. Es wäre fatal, jetzt nicht darüber nachzudenken, wie wir uns in Zukunft stabil und verantwortungsvoll aufstellen.
Was würde ein Lieferkettengesetz nach den Vorstellungen der SPD konkret bedeuten für Beschäftigte und Konsumenten?
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es Importeure gibt, die mit Appellen leider nicht erreichbar sind. Gleichzeitig zeigen die Erfahrungen in anderen Staaten, dass schon die glaubhafte Androhung einer Haftung Wirkung zeigt. Wir brauchen auch bei uns ein Gesetz mit Zähnen. In einer sozialen Marktwirtschaft sollte man erwarten, dass soziale und ethische Fragen nicht der puren Gewinnmaximierung geopfert werden. Es gibt Unternehmen, die hohe Wertmaßstäbe im Umgang mit Mensch und Natur anlegen. Leider bei weitem nicht alle. Diese Unternehmen dürfen für ihre Verantwortungslosigkeit nicht auch noch belohnt werden. Deshalb brauchen wir eine Haftungsregelung. Wir wollen, dass die Betroffenen oder hiesige Organisationen, die ihre Interessen vertreten, Klagebefugnis erhalten. Ich finde es beschämend, dass Parteien mit einem „C“ im Namen menschlichen Anstand für wettbewerbsschädigend halten und eine wirksame Regelung verhindern wollen... Wir wollen aber kein Alibi-Gesetz...
Sie haben es angesprochen: Das Thema Lieferkettengesetz sorgt für Streit innerhalb der Koalition, eine Einigung ist nicht in Sicht. Wie geht es jetzt weiter?
...Wir müssen Kurs nehmen in Richtung eines verantwortlichen wirtschaftlichen Handelns mit Rücksichtnahme auf die, mit denen wir Handel treiben. Hier liegt der Unterschied zwischen der SPD und einer hauptsächlich auf das wirtschaftliche Gewinnstreben orientierten CDU und CSU. Wir sagen, dass sich die ethische Grundhaltung im Welthandel wiederfinden muss. Ein Land kann dabei nicht alles allein machen. Aber man kann vorangehen...